Vor wenigen Tagen hat Christie‘s für 69,3 Millionen US$ das NFT einer digitalen Collage des Künstlers Beeple versteigert. Was ist da geschehen? Hat der Kunstmarkt eine neue „Spezies“ entdeckt? Eröffnen sich den Künstlern neue Verkaufswege?
Die Kunst: Die digitale Collage „Everydays – The first 5000 days“, deren NFT bei Christie’s versteigert wurde, hat Mike Winkelmann, alias Beeple, aus den 5.000 Bildern zusammengesetzt, die er zuvor als Einzelbilder im Laufe von 5.000 Tagen seit dem 1.5.2007 veröffentlicht hatte.
Das Token: Non-Fungible Token (NFT) sind einmalig und können – lt. Definition – weder zerstört noch repliziert werden. Der Besitz eines Token ist somit in etwa vergleichbar mit dem Besitz eines Schlüssels, der nur ein einziges Mal existiert und weder kopiert noch ein weiteres Mal hergestellt werden kann. Dieser „Schlüssel“ berechtigt seinen Besitzer zu einer „Operation“ auf einer dezentralen, gemeinsamen Ressource (hier: einem Computer-Netzwerk). Die Blockchain Technologie ermöglicht (die Herstellung eines) NFT – nicht mehr und .nicht weniger. (Anm.: Das Gegenstück zum „Non-Fungible Token“ ist „Fungible Token“. Die Fungible Token, z.B. Bitcoins, sind austauschbar.)
Was wurde gekauft: Das versteigerte NFT gibt dem Käufer, Vignesh Sundaresan (alias MetaKovan), das Recht, das Kunstwerk zu zeigen. Das Copyright selber blieb bei Beeple. Das digitale Kunstwerk selbst wurde bisher bereits tausendfach veröffentlich. Die erworbene „Einmaligkeit“ liegt letztlich darin, dass der Käufer den „Ursprungscode“ des Kunstwerkes besitzt. Das NFT hat die beliebig reproduzierbaren Datensätzen, aus denen computertechnisch das Kunstwerk „Everydays“ besteht / zusammengesetzt ist, zu einem Original gemacht, das gehandelt werden kann.
Wie wurde bezahlt: MetaKovan soll mit 42.329 Ether, einer Kryptowährung (von altgriechisch „kryptós“ = verborgen) wie z.B. auch dem Bitcoin, bezahlt haben.
Der Kunstmarkt: Im Kunstmarkt werden Originale, Reproduktionen, Multiples, Auflagen, … von Kunstwerken gehandelt. Die gezahlten Preise sind, wie sollte es anders sein, ein Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Ein Kunstwerk, das selten existiert und von vielen begehrt ist, erzielt idR. beim Verkauf einen höheren Preis als Arbeiten, die in großen Auflagen existieren und/oder Arbeiten, die (zum Zeitpunkt des Verkaufs) nur wenige Menschen ansprechen. Aus rein kaufmännischer Sicht ist allein der Umstand, dass ein Kunstwerk schon aus sich heraus eine Einmaligkeit besitzt (eventuell auch „nur“ durch seine Provenienz) ein Unterscheidungskriterium zu vielen anderen Märkten. Auf Märkten, die mit „non-fungible“ Produkten handeln (dazu gehören z.B. auch Immobilienmärkte) entzieht sich die Preisbildung schon mal einer rein rationalen Bewertung. Es gilt jedoch auch, dass Preise (künstlich) hoch gehalten werden, u.a. damit kein Preisverfall eintritt und wertvolle Sammlungen plötzlich ihren Wert verlieren und/oder eine „Blase“ platzt.
Die Kunstsammler: Viele Kunstsammler orientieren sich an der Kunst, sie suchen nach Qualität, suchen Kunst, die sie berührt, von der sie nicht müde werden sie anzuschauen und immer wieder neu zu entdecken. Ob es sich um ein Gemälde handelt, eine Skulptur, eine Installation, ein Foto oder auch ein Video von dem eine besondere Aura ausgeht und dem eine wahrnehmbare Kraft innewohnt. Genau solche, in der Rezeption widerständige, in realen Materialien verdichtete Kunstwerke sucht der Kunstliebhaber. In wie weit Kunstliebhaber bereit sind, exorbitante Summen für ein NFT zu zahlen, wird sich zeigen – ich selbst habe da meine Zweifel.
NFTs im Kunstmarkt: Noch Mitte letzten Jahres wurden NFTs für Kunstwerke zu einem Durchschnittspreis von ca. 140 US$ gehandelt. Wenn mittlerweile der Durchschnittpreis über 4.000 US$ liegt ist das eine „Wertsteigerung“ von mehreren 1000 %. Von Tim Kang, der im Januar 2021 den NFT für eine Sammlung von Arbeiten von Beeple zum Preis von 777.777,77 US$ gekauft hatte, wird berichtet, dass ein guter Teil seiner Motivation für den Kauf aus dem Bestreben rührte, NFT-Kunst zu „legitimieren“. Interessant in diesem Zusammenhang, dass die Käufer von NFT Kunst ihre Kompetenz vor allem im Bereich des Kryptouniversums haben, vor allem auch der Erschaffung und Vermehrung von Geldwerten in diesem Universum. Sie streben danach in der digitalen Welt Einmaliges zu kreieren, das einen schnellen und hohen Wertzuwachs verspricht.
Der Trend: Seit Christie’s im Februar 2021 „Everdays“ versteigerte, sind die Handelsumsätze von NFTs, besonders auch von Kunst-NFTs, um mehr als 50% gesunken.
Ein Zwischenstand: Die nächste Zeit wird zeigen, ob und in welcher „Sammlerschaft“ Kunst-NFTs mehr als ein Hype sind, ob sich Blasen bilden, ob sich der „Kunstmarkt“ ändert oder vielleicht doch nur (verzweifelt) nach Anlegemöglichkeiten für Geld gesucht wird. (Wobei sich auf der anderen Seite ein Mitspieler befinden muss, der bereit ist, dieses Geld aufs eigene Konto zu leiten).
Interessanter aus Sicht der Kunstrezeption ist m.E. die Frage, ob die Kunst eine neuerliche „Profanisierung“ erfährt. Im 18. / 19. Jahrhundert wurde die Kunst aus den Kirchen herausgeholt, ihres Funktionszusammenhangs beraubt und in Museen / Ausstellungshäusern neu inszeniert. In den letzten Jahrzehnten werden Kunstwerke immer öfter in Freihandelszonen im Zollfreilager eingebunkert. Und in Zukunft? Wird es dann nur (noch) digitale Abbilder der Kunstwerke auf den Bildschirmen geben? Sowohl von realen wie auch rein digitalen Arbeiten? Werden dann reale (eingelagerte) Kunstwerke digitalisiert (entmaterialisiert) und der entsprechende Code als NFT „zweitverwertet“? Entstehen Bunker für NFT-Kunst und damit mehr und mehr (immaterielle) Spekulationsobjekte, deren einziger Zweck die Kapitalvermehrung sein wird?
Spannend ist m.E. auch, die Feststellung von Tim Kang genauer zu untersuchen, der seine Motivation beim Kauf des Kunst-NFT damit beschrieb, so „NFT-Kunst legitimieren zu wollen“. In der Kunstgeschichte (und Politik) wird regelmäßig festgestellt, dass Kunstwerke zum Zweck der Legitimationen entstehen, genutzt und missbraucht werden. Wenn höchste Kaufpreise die NFT-legitimieren, fragt sich, welchen Gegenwert das NFT bietet. Und es drängt sich die Frage auf, ob es vielleicht umgekehrt ist. Könnte es nicht eher so sein, dass die Kunst (wieder einmal) eine sich herausbildende geänderte Welt legitimieren soll? Eine heraufdämmernde Welt der Kryptowerte mit Protagonisten, die mit viel Geld „Schlüssel“ (Token) zu binären Computercodes handeln und als Legitimation Kunst neu definieren.
Thomas Vogelsang
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Abbildungen aus: Heinz Zolper, Blätter aus der Edition: Versöhnung der Werte, 2020 / 2021, signierte Farbserigraphien, ©Heinz Zolper/VG Bildkunst, Bonn, 2021