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Mit Ausnahme der Arbeiten unter dem Titel „Abel“ beginnt Heinz Zolper seine Leinwandbilder mit bereits vorhandenen, gegenständlich gemalten Geschichten aus der Vergangenheit. Dabei ist das Bezugsspektrum weit gefasst; mal sind es gemalte Mythologien, mal christliche Erzählungen, mal auch Straßen- und Alltagsszenen, die Zolper, gleichsam als Präfigurationen, manipuliert, übermalt und mit neuen Elementen und Bildern erweitert. So entstehen aus den alten Geschichten neue, gegenwärtige Geschichten; eine „bricolage“ im Sinne von Lévi-Strauss (2) und ein aktueller >Bilderstreit< um das Menschsein, das Malersein im gegenwärtigen Jetzt.

 

zolper 170Kain │ Am Anfang war die Gewalt

 

Bei der Wahl seiner „Vorlagen“ verfährt Zolper rein assoziativ. Ob es sich um Bilder aus der Zeit der Renaissance, des Barocks oder des 19. Jahrhunderts handelt ist für ihn völlig nebensächlich; es bleibt dem Betrachter überlassen – so er das denn will – die Herkunft zu rekonstruieren. Die Wahrheit des Bildes ist nämlich nicht an die zu Grunde gelegten Bildgeschichten oder die ihnen aufgelegten Gegenstände gebunden, sie tritt vielmehr ans Licht durch die Bildkraft der Vergegenwärtigung. Dennoch und trotz der „Zerstörung“ und Nutzung der historischen Gemälde bleibt zwischen den Bildvorlagen und der Kunst von Heinz Zolper die Verwandtschaft im Geist der Malerei erhalten.

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Nur eine Arbeit in seiner Werkserie, „Kain XII“ (3), bedient sich als Bildvorlage einer Darstellung des Brudermordes. Dabei handelt es sich um das Gemälde „Kain und Abel“ von Domenico Ferretti aus dem Jahr 1740. Als weitere Bildvorlagen nutzt Zolper die Kreuzabnahme („Kain XXI“), die Muttergottes mit dem Jesuskind („Kain VII“), Venus und Mars („Kain XI“ und „Kain XIII“), Venus und Amor („Kain XIV“), die Züchtigung des Kindes durch den Vater („Kain XV“), Stadtansichten („Kain X“ und „Kain XVI“), Stillleben („Kain XVIII“) und Interieurs („Kain I“ und „Kain III“). Das Werk „Kain VIII“ zeigt einen malerisch stark reduzierten sitzenden Rückenakt. In dieser Arbeit findet sich auch das Kainsmal, jedoch vom Kopf auf die Füße gestellt: es befindet sich nicht auf der - dem Betrachter abgewandten - Stirn, sondern auf der ihm zugewandten Ferse! „Kain 70“ zeigt den Künstler selbst malend vor der Staffelei in seinem Atelier.

 

In allen „Kain“ titulierten Arbeiten sind in unterschiedlichen Formen zwei Messer integriert. Auch das Bild der Frau, mal bildimmanent als Motiv, mal in Form der Dame als typisches Signet von Heinz Zolper, fehlt in nahezu keiner der insgesamt 18 mit „Kain“ betitelten Arbeiten.


zolper 172Die Verwandlung geschieht durch Malerei

 

Heinz Zolper bemächtigt sich seiner Vorlagen auf digitalem Weg. Mittels Vergrößerungen monumentalisiert er die Vorlagen und zerlegt sie beim nachfolgenden Kopieren und Drucken in kleine Bildflächen und Formate. Anschließend fügt Zolper die Kopien mehr oder weniger sorgsam zusammen und schafft so den Malgrund für seine weitere Bearbeitung der Leinwände.

 

zolper 171Bei der Vorlage des Brudermords von Ferretti in „Kain XII“ besteht die weitere Bearbeitung darin, dass er die beklebte Leinwand mit viel Farbe - vorrangig weiß und blau, in geringerem Umfang gelb – überarbeitet. Seine Übermalungen reichen bis dahin, dass einige Details, z.B. der Opferaltar und dessen irdene Farbe, nicht mehr zu erkennen sind. Die Erdfarbe greift Heinz Zolper in seinen Bilderfindungen auf, den metallenen Bändern und Plaketten. Diese Motive bereitet er erst einmal bildhauerisch vor, dann fotografiert er sie um sie anschließend zu kopieren bevor er sie als nunmehr in Papier transformierten Gegenstände auf die Leinwand aufsetzt.

 

zolper 168Die Farbe verwandelt die vermeintlich reale Geschichte der Genesis in ein dramatisch mystisches Ereignis, das die aufgesetzten >metallenen Bänder< mit ihren archaischen Mustern oder den quadratischen Plaketten, die wie Schokoladenkekse anmuten und das Signet von Heinz Zolper  – die Dame – tragen, nur bedingt zu zähmen weiß. Zwei dominierende Messer geben der Arbeit die Form und bestimmen die Bildaussage. Schlussendlich beweist sich die Malerei als völlig autonomes Thema in einem mit den Grundfarben pastos aufgetragenen großen Farbpunkt.

 

„Kain XII“ erzählt vom Spannungsfeld zwischen Himmel und Erde, Mensch und Gott, Leben und Tod. In diesem Eifersuchtswettbewerb oder der „Begehrens-Arena“ (Peter Sloterdijk) agiert der Maler und lässt den Betrachter, der sich der Sensation des Bildes nicht entziehen kann, an all den großen Themen, die sich dahinter verbergen, teilhaben. Denn – der Erlkönig ist schon da (P. Sloterdijk) und an jedem Menschen haftet das Kainsmal.

 

zolper 175Abel

 

Sechs Arbeiten in Mischtechnik und als Pastellzeichnungen auf Gummi hat Heinz Zolper mit „Abel“ betitelt, eine siebte, in gleicher Technik entstandene Arbeit trägt den Titel „all good“. Der schwarze Grundton des Gummis mit den aufgesetzten Lichtpunkten vermittelt eine eigenartig ambivalente Nachtstimmung. Trotz der zum Teil strengen, formalen Bearbeitung des Bildraumes bleibt das Dargestellte geheimnisvoll und unergründlich. Als Figur erscheint einzig die Dame von Heinz Zolper. Die Geschichte von „Kain und Abel“ oder von Abel als Opfer wird nicht gezeigt. Der männliche Part erscheint nur sehr hintergründig in mehr oder weniger ausformulierten Phallussymbolen. Ist hier Abel gemeint? Oder doch wieder Kain?

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Den zwei Messern der Serie „Kain“ entsprechen in der Serie „Abel“ je zwei farbige, intensive Lichtpunkte. Sie durchbrechen die Dunkelheit des schwarzen Grundtons, ohne dabei den Bildraum auszuleuchten. Das Licht ist hier reines Symbol – vergleichbar den Messern in den „Kain“-Arbeiten – mit denen der Spannungsbogen im Bild verstärkt wird.

 

Während die „Kain“-Arbeiten die Dekonstruktion der Malerei und der Bildgeschichte vom Brudermord thematisieren und eine Neuinterpretation aufzeigen, zeugen die „Abel“-Arbeiten von einer behutsamen und doch äußerst kraftvollen Bildsuche in >dunkler Nacht<.

 

Die Lust am Bild

 

Gemalte Bildgeschichten dienen stets als Modelle von Wirklichkeit für das kulturelle Gedächtnis aber auch für das Unsagbare, Verdrängte und Vergessene. Der skandalöse Brudermord, der bis heute Realität ist, wird verschwiegen bzw. verschwindet in einer globalen Ethik des Desinteresses. „Es ist das bewusste Schweigen davon, dass der Erlkönig unter uns ist“, so Peter Sloterdijk. (4)

 

zolper 173Nachdem Heinz Zolper die historischen Bildvorlagen mit all ihrem vordergründigen didaktischen Sendungsbewusstsein von Politik, Gesellschaft und Kirche gründlich entwertet hat, weiß er die Geschichten weiter zu malen. Seine Malerei gemahnt daran, das Feld des Desinteresses endlich zu verlassen und nicht länger vor der Gewalt, die die Menschheit von Anbeginn begleitet, die Augen zu verschließen. Nicht ein Motiv entscheidet zum Brudermord sondern ein Anlass. Die Gewalt steht am Anfang, sie ist ursprünglich. Kain muss leben, der Künstler muss malen.

 

„Von der Kunst wird die Reparatur der Welt erwartet, das Unschöne, Un-Heile des Alltags, seine Beliebigkeit und Bedeutungsarmut soll mobilisiert und der allseits vorhandenen Anonymität und dem Vorherrschen des Plagiats das Bedeutsame, Singuläre und ästhetisch Befriedigende entgegengesetzt werden. Kunst aber >>ist immer auch Konfrontation mit dem, was nicht aufgeht<<.“ (5)

 

Gudrun Pamme-Vogelsang
Köln im Februar 2019


Anmerkungen
(1) Die Werkserie „Kain“ ist zwischen 2017 und 2019 entstanden. Sie umfasst 18 Leinwandbilder in unterschiedlichen Formaten, die mit „Kain“ betitelt sind und sieben Arbeiten, ebenfalls in unterschiedlichen Formaten, deren Bildträger aus schwarzem Gummi bestehen. Letztere haben bis auf eine Ausnahme mit dem Titel „all good“ den Titel „Abel“
(2) Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken, Frankfurt a.M. 1968
(3) „Kain XII“, 2018, Mischtechnik, 150 x 120 cm.
(4) Peter Slotderdijk, Erwachen im Reich der Eifersucht. Notiz zu René Girards anthropologische Sendung. In: René Girard, Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie ein Blitz, München, Wien 1999, S. 245
(5) Marlene Lauter, Bildstörung, in: Nele Ströbel, Reparaturen der Welt, München 2002, S. 85.

Abb. von oben nach unten: Kain XIII, 2018; Kain XIV, 2018; Kain XV, 2017; Kain I, 2017; Kain VIII, 2018; Kain XXI, 2018; Abel I, 2018; Abel II, 2018; Kain 70, 2019; für sämtliche Abb.: © Heinz Zolper/VG Bild-Kunst, Bonn, 2017, 2018, 2019

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