Claudia Dichter im Künstlergespräch mit Sandra Riche während der Soloausstellung "Was auf dem Herzen liegt" am 8.12.22:
Claudia Dichter (CD): Sandra Riche ist Französin. Sie ist in der Nähe von Paris aufgewachsen und hat zunächst an der Sorbonne und an der FU Berlin Fremdsprachen studiert, dann von 1992 bis 1997 Kunst an der Kunsthochschule Grenoble und an der Kunstakademie Düsseldorf. Im nächsten Jahr ist sie ein Vierteljahrhundert in Berlin, dem Ort, an dem sie lebt und arbeitet. Sie ist oft unterwegs, da sie zahlreiche Künstlerstipendien und Residencies bekommen hat. Eine Künstlerin, die an verschiedenen Stätten zum Teil sehr ortsspezifische Projekte realisiert. Frau Riche, lassen Sie uns einmal an Ihre künstlerischen Anfänge zurückgehen. Was war für Sie der Grund, von den Sprachen weg hin zur Bildenden Kunst zu gehen?
Sandra Riche (SR): Ich war damals sehr damit beschäftigt und bin es immer noch: Was macht Sinn in diesem Leben. Und für mich war Kunst das Einzige, was Sinn macht.
C.D.: Sie waren nicht sehr lange in Düsseldorf an der Akademie, ein halbes Jahr im Rahmen eines Stipendiums. Sie sind in der Bildhauerklasse von Irmin Kamp gewesen. Wie prägend war diese Düsseldorfer Zeit?
S.R.: Ich war dort nur für ein Semester mit einem Stipendium. Ich hatte das Glück, beim sogenannten „Rundgang“ am Ende des Semesters mit allen Studenten ausstellen zu dürfen. Es war ein großes Geschenk, weil Frau Kamp gesagt hat: „Du bekommst einen Raum für dich alleine“ (lacht). Ich bekam sogar vom Kunstverein Düsseldorf einen Preis während dieser Ausstellung. Kurz gesagt: Es war die beste Zeit in meinem Studium! Das gesamte Studium in Frankreich mit Masterabschluss dauert 5 Jahre. Und ich sage, teilweise im Scherz, das war das Semester, in dem ich Alles gelernt habe. In Frankreich mussten Kunststudenten während der Präsentation sehr viel über die eigene Arbeit reden. Darauf wurde sehr viel Wert gelegt. Aber die tatsächliche Arbeit, damit meine ich die Form, war viel weniger wichtig. In Düsseldorf war es genau das Gegenteil. Wenn man Besprechungen mit Frau Kamp hatte, da wurde nicht so viel Wert auf Diskussionen über den Inhalt der Arbeit gelegt, aber die Form musste perfekt sein. Es ist ein Vorteil, beide Schulen kennengelernt zu haben. Beides gehört dazu. Inhalt und Form.
C.D.: Nun ist das natürlich auch ein Prozess, eine eigene Form zu finden. Also das Medium zu finden, in dem man sich letztendlich ausdrücken will. Was wir hier in der Galerie sehen, Installationen, Assemblagen, war das von vorneherein Ihr Weg? Wenn man sich Ihre künstlerische Praxis ansieht, da gibt es auch Videoarbeiten von Ihnen, es gibt Performances. War das ganz klar die Richtung? Oder haben Sie auch mit Malerei, mit Zeichnungen, mit Fotografie experimentiert?
S.R.: Als ich angefangen habe zu studieren, gab es in meinem Background und in meiner Familie niemanden, der mit Bildender Kunst zu tun hatte. Ich hatte keine Vorbildung in Sachen Zeitgenössischer Kunst. Damit kam ich dann ein bisschen zufällig an diese Schule nach Grenoble. Und gerade an dieser Schule hatte man eigentlich Alles abgeschafft, was klassische Ausbildung war. Dort war man total auf der Welle: Installation, Video, Performance, Objektkunst. Die Studenten, die lieber malen wollten, wechselten die Schule. Für mich war es ganz klar, es musste etwas Dreidimensionales sein.
C.D.: Gab es denn künstlerische Vorbilder für Sie?
S.R.: Am Anfang meines Studiums war ich sehr von berühmten, männlichen Künstlern beeinflusst, die technisch ziemlich anspruchsvoll arbeiteten. Bill Viola oder James Turrell mit seinen Lichtinstallationen haben mich sehr beeindruckt. Während meiner Studienzeit, eröffnete ein neues Kunstmuseum in Grenoble. Dort sah ich eine große Retrospektive von Rebecca Horn. Das war wie eine Offenbarung für mich. Nach und nach gab es auch andere Einflüsse. In Düsseldorf stieß ich zufällig auf die Tagebücher von Eva Hesse. Obwohl meine praktische Arbeit nicht dafür spricht, mag ich Eva Hesse sehr. Sie ist immer eine starke Figur für mich geblieben.
C.D.: Hier in Ihrer Ausstellung sieht man weitgehend gefundene Materialien, es sind alltägliche Ding. Gelebte Dinge, die eine sinnliche, haptische Qualität haben. Textilien sind zum Teil mitverarbeitet, Kisten. Wann haben Sie gemerkt, dass das das Material ist, mit dem Sie arbeiten wollen?
S.R.: In den letzten beiden Jahren meines Studiums öffnete sich ein ganz anderer Weg. Da habe ich angefangen, viele verschiedene Materialien, vor allem sehr oft Stoff zu benutzen.
C.D.: Und wo finden Sie all diese Dinge? Gehen Sie gezielt auf Flohmärkte? Sind es Zufallsfunde?
S.R.: Ich gehe gerne auf Flohmärkte. Aber komischerweise, viele glückliche Funde in den letzten Jahren lagen einfach auf der Straße. Dinge, die es umsonst gab.
C.D.: Können Sie beschreiben, was ein Objekt für Sie haben muss, damit Sie darauf anspringen?
S.R.: Ich habe eine kleine Geschichte. Ich war zu einem Arbeitsaufenthalt im Kunstverein in Frankfurt/Oder. Die Leute waren sehr engagiert und sagten mir: „Geh doch mal auf den Dachboden. Dort gibt es Sachen, die wir wegwerfen werden, vielleicht ist etwas für dich dabei.“ Als ich später die Ausstellung eröffnete, fragten mich die Leute, wieso ich gerade diese Fundstücke ausgewählt hatte. Ich sagte: “Ich bin auf den Dachboden gegangen. Und ich habe gehört, wie die Objekte gesprochen haben.“ Sie dachten, ich machte mich lustig, aber ich sagte: “Nein, nein. Da war etwas. Die haben nicht nur mit mir gesprochen, sondern auch untereinander. Da wusste ich, sie mussten zusammenkommen.“
C.D.: Entstehen Ihre Werke tatsächlich alle nur in Ihrem Kopf? Oder gibt es Skizzen, gibt es Notizen? Gibt es Hefte, mit denen Sie herumlaufen und Notationen machen, in welche Richtung es gehen wird? Wo ein Puzzleteil zum anderen kommt.
S.R.: Sie sind alle in meinem Kopf. Ich zeichne nicht so viel. Wenn man allerdings in meine Hefte schaut, sieht es so ein bisschen aus, wie auf einer Einkaufsliste. Wenn ich etwas beschreibe, ist es wirklich supersachlich. Holztafeln, Schürze, (Lachen) bis hin zu Schraube, Winkel. Ziemlich spröde. Ich glaube, meine Hefte wären nichts für ein Museum. (Lachen)
C.D.: Was ja merkwürdig ist, denn Ihre Arbeiten haben sehr poetische Titel. Das ist manchmal wie der Anfang einer Geschichte. Da ist es erstaunlich, dass Sie auf der anderen Seite so sachliche, funktionale Arbeitsbeschreibungen haben.
S.R.: Das mit den Titeln ist wichtig. Inzwischen kommen sie öfter am Ende. Aber ich hatte eine Phase, jedes Mal wenn ich einen Satz hörte oder las, der mir gefiel, da habe ich den aufgeschrieben. Oder wenn mir etwas Besonderes eingefallen ist. So habe ich Hefte mit Einkaufslisten mit poetischen Zitaten geführt. Das ergibt so eine Mischung. Das wäre vielleicht doch etwas für ein Museum!
C.D.: Das heißt aber auch, die Sprache bleibt schon wichtig bei dem Werk. Das, wo Sie ja auch ursprünglich herkommen.
S.R.: Ja. Meist, wenn der Titel zuerst auf Französisch kam, dann behalte ich das auf Französisch; genauso bei Englisch oder Deutsch. Je nachdem wie es zuerst kam.
Ich wäre gerne Schriftstellerin geworden. Ich denke aber, das ist nichts für mich. Und eine Freundin hat mir tatsächlich gesagt: „Ja, aber du machst Poesie auf deine Art! Das sind Gedichte.“ Sie hat selbst Gedichte geschrieben. Das ist echt ein Kompliment.
C.D.: Sie haben auch einmal gesagt, Sie verständen sich auch als Geschichtenerzählerin mit anderen Mitteln.
S.R.: Die besten Arbeiten sind für mich jene, die nicht so einseitig sind. Ich mag es, wenn jeder etwas für sich darin finden kann. Und ich glaube, dass die besten Arbeiten wirklich vielschichtig sind. Das sind oft Werke, ich sage es vorsichtig und in Klammern, die mehr erzählerisch sind. Vielleicht stimmt es nicht. Es gibt Leute, die konkrete Kunst machen. Das ist einfach total subjektiv von mir.
C.D.: Aber Sie legen Spuren. Das sind alles Installationen, Objekte, die Dinge antriggern, die bringen ihre eigene Geschichte mit, weil es gebrauchte Objekte sind, die schon ein Leben hatten, bevor sie zu Kunst wurden. Und bei den Spuren, die Sie legen, kommt es mir so vor, dass das für Besucher, Besucherinnen, Betrachterinnen letztendlich alles Angebote sind, da dann tiefer einzusteigen, ihre eigenen Geschichten zu spinnen. Richtig gesehen?
S.R.: Ja, genau das kann passieren. Es funktioniert nicht immer, aber oft. Dann können sich die die Leute hineinprojizieren. Sie steigen ein und fangen an, ihre eigene Geschichte zu erzählen.
C.D.: Und das sind Geschichten, mit denen Sie etwas anfangen können?
S.R.: Das passt immer. Ich bin da total offen. Ich kann das nur für mich sagen: Vieles macht man erst mal und vieles bleibt dabei aber unterbewusst. Im kreativen Prozess weiß ich: „Ich muss das so und so und so machen.“ Ich kann aber nicht erklären, warum es so gemacht werden muss.“ Immer wieder kommt jemand und erzählt mir etwas, wo ich sage: „Ja, das stimmt schon, aber es war mir nicht immer bewusst.“
C.D.: Das heißt, es sind auch so kleine Köder, die Sie mit Ihrer Kunst auslegen.
S.R.: Ich denke, dass sich jeder Künstler und jede Künstlerin an ein kleines Publikum wendet. Nicht jeder muss sich angesprochen fühlen. Darum geht es nicht. Und diejenigen, die sich angesprochen fühlen, kommen manchmal zu mir und erzählen mir etwas. Das ist ein Geschenk.
Das was mich in Bezug auf die Zeitgenössische Kunst am Meisten stört, ist was aus dieser über die Jahre geworden ist. Manchmal habe ich den Eindruck, als gäbe es so etwas wie eine Bedienungsanleitung, die man vorher lesen muss. Ich war vor Jahren mit einer jungen Künstlerin in einer Ausstellung. Und wir haben beide ganz klare Einsätze gehabt. Sie kam an, stellte sich sofort vor den an der Wand angeschlagenen Text und fing an zu lesen. Ich sagte: “Weißt du. Ich habe einen völlig anderen Ansatz. Ich stelle mich vor die Kunstwerke und manchmal habe ich dann Lust, diese Zettel zu lesen. Aber manchmal nicht. Dann gehe ich einfach vorbei. Weil ich finde, Kunst, läuft primär ohne Bedienungsanleitung.
C.D.: Es ist gerade in den letzten Jahren sehr diskursiv geworden. Es werden oft politische Themen mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln verhandelt. Und an vielen Akademien wird ein sehr theoretischer Diskurs gelehrt und geführt. Das wird oft auch von Kunstkritikern mitbefördert. Das macht Kunst auch sehr elitär. Wie sehen Sie das?
S.R.: Also, ich habe immer unabhängig vom Kunstmarkt gearbeitet. Man sieht das auch. Mitte 97 habe ich als Künstlerin angefangen. Klar, mit der Zeit sieht man immer wieder Tendenzen und Moden, die an einem vorbeigehen. Vielleicht wäre mein Werdegang ganz anders gelaufen, ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht verstellen. Als ich klein war, sagte meine Mutter: „Dir sieht man immer sofort an, wenn dir etwas nicht gefällt.“ Also letztendlich bin ich jetzt in ein Alter gekommen, wo ich denke: „Das war mein Weg, ich bereue es nicht und ich würde es genauso wieder machen.“ Jeder kann für sich herausfinden, ob man Dies oder Das macht, in der Hoffnung, dass es besser läuft. Ich denke, als Künstler erfüllt man keine Nachfrage. Sonst ist man Produzent. Aber es gibt viele Künstler, die so arbeiten. Das weiß ich. Ich will das nicht beurteilen, verurteilen, es ist einfach so.
C.D.: Das ist natürlich eine Form der Authentizität. Der Kern authentischen Schaffens, dass es für einen selber stimmig ist und jenseits von einem Kunstmarkt, jenseits von aktuellen Tendenzen und Diskursen, ich glaube, das ist so ein Moment, den man da ganz deutlich darin spürt. Wo man das Gefühl hat, Sie drehen das immer ein Stückchen weiter. Oder Sie versuchen, es immer wieder neu zu hinterfragen, neu zu formulieren, neue Blickwinkel zu entdecken. Und das auch mit einer großen Prise Humor und Leichtigkeit.
S.R.: Ich finde gut, dass Sie darüber sprechen. Klar, ich mag Surrealismus, ich mag Dadaismus. Das ist, was den Leuten zuerst einfällt, wenn sie meine Arbeiten sehen. Ich war in Lausanne im Museum Collection de l' Art Brut. Das ist so frisch, man fühlt sich so frei. Ich spüre auch in den Arbeiten die Freiheit, die diese Menschen hatten. Ich will auch so arbeiten. Ich will die Unbefangenheit, mit Materialien zu arbeiten, mit Werkzeugen zu arbeiten, auch wenn man sagt: „Das ist wirklich blödsinnig, wie du das benutzt!“ Das ist mir egal. Ich möchte das so machen! Erstmal probieren! Es ist gut oder nicht gut. Ich will es einfach so machen.
C.D.: Aber man merkt, es hat etwas sehr Eigenweltliches. Wo man so unterschiedliche Dinge an der Wand, im Raum sieht und merkt: Die haben alle miteinander etwas zu tun. Aber jedes öffnet ein eigenes Türchen. Und wenn man genau hinschaut, entdeckt man ja auch noch was. In den Boxen sind so kuriose Dinge zusammengestellt. Es ist ein eigener Kosmos, den Sie uns offenbaren.
S.R.: Was Sie sagen, ist für mich ein großes Kompliment. Ich hoffe zumindest, dass, wenn die Leute hereinkommen, etwas anschauen, dass das nicht in 2 Sekunden erfasst ist. Es gibt solche Arbeiten, auch in Museen. Sie sind so plakativ, so illustrativ. Ich habe es in 2 Sekunden erfasst. Am nächsten Tag beschäftige ich mich nicht mehr damit. Bereits, wenn ich das Museum verlasse, ist es weg.
C.D.: Man muss ja sagen, Sie sind niemand, der Angst vor bestimmten Materialien hat. Viele Materialien, mit denen Sie arbeiten, ob das Textilien sind, ob das Wolle ist, Putzlappen oder irgendwelche Wischmopps..., das sind weibliche Materialien. Aber es wäre falsch, Sie in eine Frauenkunstschublade zu stecken. Was treibt Sie an, mit bestimmten Klischees ganz bewusst zu spielen und sich nicht davon irritieren zu lassen?
S.R.: Es geht mir vor allem darum, superbanale und oft in den Augen der Leute völlig billige, wertlose Materialien zu nehmen. Heutzutage gibt es auch Männer, die putzen. Auf der Straße sieht man eher Männer, die die Stadtreinigung machen. Was mich anspricht ist, das Banalste, das Wertloseste aufzuwerten. Es ist wie bei den Menschen, der Schein trügt. Beim Material genauso. Wieso soll ein Ensemble schöner, farbiger Putzlappen weniger wert sein als ein Stück Marmor? Ich sehe das nicht ein. Ich bin sogar eine superökologische Künstlerin, weil ich Weggeworfenes wieder verwende (Lachend).
C.D.: Aber auch immer jemand, der die Poesie im Alltag entdeckt?
S.R.: Ja. Das stimmt. Es gibt auch das Zitat von Emil Cioran: „Es gibt keine wahre Kunst ohne eine kräftige Dosis Banalität. Wer das Außerordentliche ständig ins Spiel bringt, ermüdet schnell, da nichts unerträglicher ist als die Gleichförmigkeit des Außergewöhnlichen.“
C.D.: Das heißt aber auch, es geht darum, einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Oder überhaupt den Blick auf Dinge zu lenken, die vielleicht sonst übersehen würden.
S.R.: Oft sind diese Arbeiten so etwas wie Darsteller. Wie in einem Theaterstück. Wenn ich zum Beispiel Putzlappen zum Kunstwerk aufstufe, werte ich die Leute dahinter auf, die das benutzen. Wie die Putzfrau. Je nachdem, worum es geht. Für mich ist es oft anstrengend auf Flohmärkten. Weil die Gegenstände scheinbar einen Wirrwarr von Geschichten erzählen. Es klingt erstmal ganz lustig, wie ich das darstelle. Aber ich glaube, dass die Dinge mit der Energie der Leute aufgeladen sind, die sie besaßen oder drum herum gelebt haben. Und jedes Objekt bringt das zurück. Um darauf zurückzukommen: Das wahre Leben, die wahre Kunst richtet sich nicht daran aus, dass etwas besonders und außergewöhnlich aussieht oder auffällt. Es ist das Gegenteil. Ich glaube, das spricht jeden an.
C.D.: Es geht in der Kunst ja auch immer um die Frage: Wer wird repräsentiert? Wie kann man sich selber da einfühlen und identifizieren? Wo findet man einen Faden, den man aufgreifen kann? Bei Ihren Arbeiten hat man das Gefühl, es gibt ein Gegenüber. Es ist nicht nur ein totes Ding an der Wand, sondern da passiert etwas. Sie haben eben gesagt, letztendlich geht es ja um die Frage nach dem Leben, wie das Leben funktioniert. Und es gibt auch diese Collage hier „Auf der Suche nach dem guten Leben.“ Was ist für Sie das Gute Leben?
S.R.: Das Gute Leben, für mich gibt es das nicht. Das ist die Suche nach dem Guten Leben. Ich glaube, es macht nur Sinn, wenn man immer auf der Suche ist. Wenn man es hat, ist man ganz schnell satt und es genügt einem nicht mehr. Dann muss man weiter. Ich glaube, das Gute Leben gibt es nicht.
C.D.: Ist es auch ein Vorteil für Sie, Künstlerin geworden zu sein, weil Sie sich dadurch diese Freiheit im Kopf und auch diese Neugier bewahren konnten?
S.R.: Wenn ich mir die Leute um mich herum anschaue, auch in meiner Familie: Jede Menge unglücklicher Leute! Wieso einen Lebensweg gehen, wenn man so unglücklich ist? Mein Leben war sicherlich nicht einfach, ist immer noch nicht einfach. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, ich habe es nicht falsch gemacht. Ich würde es genauso wieder machen.
C.D.: Was ich erstaunlich finde, wenn man auf Ihre Homepage geht, die Biographie, die Auflistung der Stipendien, die Auszeichnungen und die Ausstellungen sieht. Das Meiste hat in Deutschland stattgefunden. Haben Sie Frankreich ausgespart?
S.R.: Ich habe immer gehört, viele französische Künstler sind erst im Ausland berühmt geworden. Und später haben sie dann in Frankreich Anerkennung bekommen. Ich habe seit 2012 die deutsche Staatsangehörigkeit. Irgendwann hat es mich gekitzelt und ich habe gedacht: „Wenn ich mich in Frankreich bewerbe, sage ich: „Ich bin deutsch“. Ich hatte schon mal die Fantasie, ich würde irgendwann mal Deutschland in Venedig vertreten.
C.D.: (ans Publikum) Wir sind ja nur ein kleiner, intimer, exklusiver Kreis. Sie haben auch die Möglichkeit, der Künstlerin Fragen zu stellen, oder Anmerkungen zu ihren Arbeiten zu machen.
Publikum: Die Herzen so akkurat heraus zu arbeiten, das ist fast manisch, auf jeden Fall ist es eine Herzensangelegenheit. Wie haben Sie sie rausgeschnitten?
S.R.: Mit einer kleinen Spitzschere. Das ist lustig, daß Sie das Wort „manisch“ benutzen. Ich suche mir oft manische Tätigkeiten. Diese Eintönigkeit und diese Dauer.. Das ist wie das Leben. Ich kann es nicht erklären, aber diese Art von Arbeit mag ich. Das hat was von Meditation.
C.D.: Frau Pamme-Vogelsang, Sandra Riche ist relativ neu im Programm. 2019 war ihre erste Ausstellung in der Galerie. Das ist eine Entscheidung, eine neue Position zu holen, wenn man ein Galerieprogramm hat und wenige Künstler vertritt. Was war für Sie der Auslöser?
Pamme-Vogelsang, Galeristin: Was ich in ihrer Arbeit spannend finde ist die bildnerische Qualität und wie sie sich mit dem Material verbindet. Ihre Arbeiten haben wirklich eine malerische Qualität.
Die bildnerische Qualität finde ich in den Arbeiten so beeindruckend, weil sie mit Fiktion spielt, sie öffnet Räume, die Geschichten sind nicht abgeschlossen, man kommt immer wieder an einen Punkt, wo man ganz neu denken oder sich orientieren muss.
Das funktioniert nur mit Sandra Riche`s eigenem Material und nur so wie sie es zusammengestellt hat. Wir sind ja eine Galerie, wir haben bildende Kunst, Malerei, Skulptur. Es geht uns immer um eine klare Form, aber auch immer um die Aussage. So eine Position wie die von Sandra Riche hatten wir noch nie in der Galerie.
C.D.: (ans Publikum) Dankeschön an Sie alle.
PDF des Gesprächs Künstlerfilm Sandra Riche
Abbildungen, von oben nach unten:
1 Claudia Dichter und Sandra Riche im Künstlergespräch, 2022
2 Sandra Riche im Künstlergespräch, 2022
3 Claudia Richter im Künstlergespräch, 2022
4 Sandra Riche, Die Herzverkäuferin, 2022, Installation, mixed media, Maße variabel; Abb.: in der Galerie, 2021
5 Sandra Riche, Home Office 1, 2021, Wolle, 52 x 42 cm
6 Sandra Riche, es war nur ein Mißverständnis, 2005, Fliegenklatschen & Holzschrauben, 50 x 150 x 2 cm
7 Sandra Riche, le linge sale (die schmutzige Wäsche), 2021, mixed media, 5 x 24 x 11 cm
8, 9, 10, 11 Sandra Riche, Videostills aus "Nach mir die Sintflut", 2015, Video, 4'35'
12 Sandra Riche, Nur für erfahrene Sammler, 2019, mixed media
13 Sandra Riche, ein Leben, 2019, mixed media
14 Sandra Riche, bitte beim Verlassen die Kette ziehen, 2020, Installation mixed media, Maße variabel; Abb.: in der Galerie, 2021
15 Sandra Riche, She spend her life searching for the missing part, 2019, mixed media
16 Sandra Riche, Wonderwoman, 2021, Installation mit Putzutensilien und Lichtbaumkette
17 Sandra Riche, Die Heldin der Arbeit, 2018, Installation mit Putzutensilien und Licht; Abb: im Frauenmuseum Bonn, 2021
18 Sandra Riche, Auf der Suche nach dem guten Leben, 2021, Papier, Karton, 13 x 13 x 11 cm
19 Sandra Riche, auch die Liebe verschwindet, 2022, schlecht fixiertes s/w Foto, Rahmen, Metallschild, 33 x 24 cm
20 Sandra Riche, Dark Times, 2020, Stickbild, 52 x 42 x 4 cm
21 Sandra Riche in ihrem Atelier, 2021
22 Sandra Riche, Das Schwanenlied, 2021, Häkelarbeit, Filz, 52 x 92 x 14 cm
23 Sandra Riche, Für immer schön, 2015, Installation mixed media, 170 x 250 x 150 cm
24 Sandra Riche, Sie streckte immer die Zunge raus, 2020, mixed media, 40 x 14 x 2 cm
© für 1, 2, 3, 21 bei den Abgebildeten und bei Gudrun Pamme-Vogelsang, 2024
© für 4 - 20, 22 - 24: © Sandra Riche/VG BildKunst, Bonn 2024